Senatsreise 2024

Goethe, Schiller und die Puffbohne – 08. – 12. Mai 2024


Nach einer vergnüglichen Busreise erreicht man Erfurt am Abend. Für mehr als ein kurzes Händewaschen auf dem Zimmer bleibt keine Zeit und so trifft man sich zum Abendessen in der imposanten, meterhohen Hotelbar.

Die Stadtrundführung am nächsten Tag beginnt an der eindrucksvollen und mächtigen Zitadelle Petersberg, die über der Stadt und gegenüber von unserem Hotel thront. Hier lässt sich bereits ein erster Blick über die Schönheiten Erfurts mit seinem Dom, den vielen Kirchen und der gut erhaltenen Architektur werfen. Der gläserne Aufzug von der unteren Altstadt zur Zitadelle begeistert. Man erfährt, dass Erfurt, seit 1990 die Landeshauptstadt Thüringens, lange Zeit dem Erzbistum Mainz zugehörig war, und schon Barbarossa, Napoleon und Goethe hier residierten.

 


Am Domplatz angekommen kann man die Baustelle bestaunen, die das nächste Großereignis ankündigt. Man bereitet alles für den anstehenden Katholikentag vor und versenkt Bordsteine, so dass die pittoresken Fassaden der Häuser um den Domplatz nur hinter Baustellenmarkierungen bewundert werden können. Doch die gesamte restliche Altstadt zeigt sich malerisch und fotogen.

Die Tour führt weiter zum Fischmarkt, einem der der bemerkenswertesten Plätze der Stadt. Hier bilden das “Haus zum Breiten Herd“, das “Haus zum Roten Ochsen“, der Gasthof “Gildehaus“ und das Rathaus ein einmaliges Ensemble. Bedeutende Renaissance- und Barockgebäude mit farbenfrohen Fassaden und verspielten Giebeln stehen hier neben neogotischer Strenge und eleganten Jugendstilhäusern. Und in dieser Kulisse sitzen bei dem herrlichen Wetter viele Menschen an den Tischen vor den Lokalen und genießen das lebendige Treiben der Hauptstadt Thüringens an diesem Feiertag.

 


Als Standort des ZDF-Kanals KiKA wird die Stadt von überlebensgroßen Figuren des Kinderkanals wie “Bernd das Brot“, die “Maus“ und dem “Elefanten“ oder dem “Sandmännchen“ bevölkert und diese dienen allen als willkommener Fotopunkt.

Die Krämerbrücke ist die einzige mit Häusern bebaute Brücke in Deutschland – mit einer Vielzahl von Läden mit niedlichen und auch nützlichen Artikeln wie hausgemachtem Eis oder dem “Eierlikör to go“, der auch probiert wird.

Auffallend sind die goldenen Rettungsdecken an Häuserfassaden und Fenstern, manchmal zu kunstvollen Schleifen gebunden, andernorts einfach wie Bettlaken aus dem Wohnungsfenster gehängt. Man erfährt, dass die Erfurter mit der Aktion “Gold statt Braun“ ein sichtbares Zeichen für Demokratie, Toleranz und Menschlichkeit setzen und sich offen gegen Hass, Rassismus, Antisemitismus und Rechtsradikalismus aussprechen. Damit erinnern die weltoffenen Bürger sicherlich nicht nur an die Befreiung vom Nationalsozialismus und an das Ende des Zweiten Weltkriegs am 8. Mai, sondern verweisen ebenfalls auf die bevorstehenden Kommunalwahlen in Thüringen.

Nach der Besichtigung der kleinen Gassen mit gepflegten Häusern und schönen Innenhöfen kann man sich vorstellen, wie pittoresk sich die Universitätsstadt Erfurt zur Weihnachtszeit mit einem der größten Weihnachtsmärkte Deutschlands zeigt. Man ist sich in der Reisegruppe einig: In der Vorweihnachtszeit würde man gern für eine Thüringer Rostbratwurst wiederkommen.

Mit einer historischen Straßenbahn startet man nach der Mittagspause zu einer Sternfahrt, die auch in äußere Bezirke Erfurts führt, mit Wohnvierteln bestehend aus gepflegten Patrizierhäusern oder den KiKA-Studios mit Drehort der Serie “In aller Freundschaft. Die Jungen Ärzte“. Obwohl keiner der Reisenden die Sendung schaut, wissen einige auffallend gut Bescheid. Auch am alten Stadtgefängnis kommt man vorbei. Dieses diente in der DDR als Stasi-Haftanstalt und es waren von 1952 bis 1989 über 5.000 Menschen aus „politischen Gründen“ darin eingesperrt.

 


Gegenüber dem Erfurter Bahnhof (und der ICE-Strecke, die Angela Merkel einweihte, worauf unser Stadtführer wiederholt hinzuweisen nicht müde wird) gibt es zwar keinen Dom, doch den “Erfurter Hof“, in dem 1970 das erste deutsch-deutsche Gipfeltreffen zwischen Willy Brandt und Willi Stroh stattfand. In großen Lettern auf dem Dach erinnert “Willy Brandt ans Fenster“ an die mutigen Erfurter Bürger, die diesen Ruf skandierten.

Der erste Sightseeing-Tag geht mit einem wunderbaren und unterhaltsamen Abendessen im sommerlichen Kromer´s zu Ende – der Chef, der es sich nicht nehmen lässt, den Sessionsorden der Blauen Funken als Dank persönlich entgegenzunehmen, entpuppt sich als leidenschaftlicher 1. FC Köln-Fan, der unter Leidensgenossen noch den ein oder anderen Digestif verteilt.

Bei angenehm sommerlichen Temperaturen beginnt die Führung in der beschaulichen Kulturstadt Weimar. Gleich zwei – aber eigentlich noch viele weitere – Rundgänge braucht man, um die dichte und vielfältige Stadt- und Kulturgeschichte mit ihren Sehenswürdigkeiten zu erfassen.

Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Johann Sebastian Bach, Franz Liszt und Walter Gropius lebten hier und schufen literarische und musikalische Meisterwerke. Unser Stadtführer kennt noch eine große Anzahl weiterer Bewohner der Residenzstadt, die es zu zitieren und rezitieren lohnt. Er führt uns vorbei an Goethes Wohn- und Gartenhaus, der Bibliothek der Herzogin Anna Amalia und blühenden Gärten und Parks. Die Stadt atmet Kultur. Je länger man über das allerorten verlegte schöne alte Kopfsteinpflaster läuft, umso lebendiger wird der Begriff der “Weimarer Klassik“.

 


Am zentralen Marktplatz lässt man sich am Stadtmodell die Struktur der Stadt erklären und wird auch an ein dunkles Kapitel Deutschlands erinnert. Denn im “Hotel Elephant“ übernachtete Adolf Hitler rund vierzig Mal unter großem Jubel der Stadtbewohner. Beeindruckt ist man sogleich von Udo Lindenbergs Engagement: Er springt seit Jahren ein und mietet die bemakelte Suite, wenn das Hotelmanagement vermutet, dass ein anderer Hotelgast aus fragwürdigen Gründen dort schlafen möchte.

“Ein Wochenende ohne Thüringer Klöße, verlöre viel von seiner Größe!“ ist als Zitat zwar nicht von Goethe überliefert, reimt sich aber immerhin und findet sich auf dem Werbeschild einer Weimarer Kneipe. Dies beherzigt der ein oder andere und die Mittagspause genießt man an den wuseligen Plätzen der malerischen und gepflegten Altstadt. Weiter geht es dann mit dem Stadtführer zur neueren Geschichte, man besichtigt die Bauhausschule und ihre Protagonisten. Am Ende des Tages ist man sich einig, dass auch Weimar mit seiner Architektur, Geschichte und Museen einen weiteren Besuch wert ist.

 

Am Samstag steht der Besuch der Gedenkstätte Buchenwald auf dem Programm. Auf dem Ettersberg bei Weimar angekommen, bedrückt einem bereits die schiere Größe des Areals. Eine ganze Reihe großer Gebäude steht trotz Bombenangriff noch, vieles ist aber auch zerstört. Eine junge Frau zeigt das gesamte Gelände. Ihre Berichte von den damaligen Zuständen sind, wie sie betont, nicht auf emotionalen Eindruck aus, aber schon übriggebliebene Fundamente lösen bei jedem von uns ein Gefühl der Beklemmung aus.

Das Konzentrationslager Buchenwald war eines der größten Lager auf deutschem Boden. Es war, so lernte man, nicht Vernichtungslager, sondern Haftstätte zur Zwangsarbeit. Insgesamt waren hier zwischen Juli 1937 und April 1945 mehr als eine Viertelmillion Menschen aus etwa fünfzig Ländern inhaftiert. Die Zahl der Todesopfer wird auf mindestens 56.000 geschätzt, darunter 15.000 Sowjetbürger, 7.000 Polen, 6.000 Ungarn und 3.000 Franzosen. Bei der Annäherung der 3. US-Armee am 11. April 1945 übernahmen die Häftlinge die Leitung des Lagers von der abziehenden SS, nahmen 125 der Bewacher fest, öffneten die Tore und hissten die weiße Fahne. Womöglich haben die Überlebenden das Lager damals über die Straße vom Lagertor zum städtischen Bahnhof verlassen, der die Deutschen den vielsagenden Namen “Karachobahn“ gegeben hatten. Man hört, wie damals die Weimarer Bürger die Züge voller Menschen auf dem Bahnhof ankommen sahen, wie sie erlebten, dass sich Tag für Tag eine nicht enden wollende Menge Menschen zum Lager schleppte, und dass sie den Arbeiterinnen, die ohne jeden Kontaktschutz mit gefährlichen Chemikalien hantieren mussten und die wegen der Verätzungen gelbe Haut bekommen hatten, als “Zitronen“ bezeichneten. Keiner der Reisegruppe kann sich danach mehr vorstellen, dass die Bevölkerung von den Vorgängen im Lager nichts mehr wusste.

Hinter einem Zwinger für Bären im sogenannten “Lagerzoo“, die bei gutem Futter der Belustigung der Wachmannschaft dienten, liegt der besonders gesicherte Eingang zum eigentlichen Lagerbereich mit kleinen lichtlosen Haftzellen, denen kaum jemand lebendig entkam. Auch Verbrennungsöfen sieht man, geliefert und eingebaut als Spezialanfertigung zur besonders schnellen Verbrennung von Leichen von einer noch heute im Weimarer Umland tätigen Ofenfirma, und ein Untersuchungszimmer mit Messlatte, die ein Blick von der anderen Seite der Wand als Genickschussanlage entlarvt. Nach dem Abzug der US-Truppen wurden Teile des Geländes von der sowjetischen Besatzungsmacht bis 1950 als Speziallager Nr. 2 genutzt. Von den 28.000 dort Internierten starben etwa 7.000. Davon und von den Baracken vor 1945 sind heute lediglich noch Fundamente übriggeblieben.Beeindruckend ist die große und moderne Ausstellung in der ehemaligen Effektenkammer, damals der Speicher für die den Häftlingen abgenommenen Sachen.

Selten war ein Dank mit Übergabe des Damenordens an die junge Führerin so gemessen. Tief bewegt verlässt man den Ort und ist dankbar für diese Erfahrung, aber auch sehr nachdenklich.

Der Besuch auf der Wartburg bei strahlendem Wetter und blauem Himmel, auf der der einst als Ketzer verurteilte Martin Luther 1521 Zuflucht suchte und hier als “Junker Jörg“ das Neue Testament in nur elf Wochen vom Griechischen ins Deutsche übersetzte, lässt mit Tapisserien, Mosaiken, Kemenaten und Fresken von Sängerkriegen – vieles davon erst im 19. Jahrhundert historisierend hinzugefügt – Ritter-, Religions- und, mit der Erinnerung an das Wartburgfest 1817, deutsche Demokratiegeschichte lebendig werden.

Man nickt anerkennend und denkt an Kölner Schulaulen, als der Burgführer berichtet, dass im prächtigen Festsaal mit seiner ausgezeichneten Akustik heute unter anderem die Abiturzeugnisse an Eisenacher Gymnasiasten verliehen werden.

 


Das Wetter und die vorherrschende Laune sind die gesamte Reisezeit über stabil: Sonnenschein und angenehme Temperatur. Die quirlige Atmosphäre Erfurts mit Straßen- und Eiscafés tut ihren Teil dazu. Alle sind sich einig, dass dies nicht die letzte Reise nach Erfurt gewesen ist. Der ein oder andere überlegt gar, sein Altenteil hierhin zu verlegen. Nur der Karneval würde doch fehlen.

 


Und was hat es nun mit der Erfurter “Puffbohne“ auf sich? Die Puffbohne ist das Maskottchen der Stadt. Die Region war optimal, um die Puffbohne (auch: Saubohne) anzubauen und sie war seit dem Mittelalter ein nahrhaftes Arme-Leute-Essen. Als echter Erfurter hatte man immer einige Bohnen in der Tasche und grüßte die Bohnen, kam man an einem Feld mit Puffbohnen vorbei. So bekamen die Erfurter schnell den Spitznamen “Erfurter Puffbohne“. Heute wird der Begriff weiterhin gepflegt und jedes in Erfurt geborene Kind erhält zur Geburt eine Plüsch-Puffbohne.


Text: Lisa Schade, Fotos: Mitreisende